Friedensverhandlungen! Nachdem Napoleon Europa mit Kriegen überzogen hatte, regelte der Wiener Kongress 1814-1815 die
Staatenordnung neu - quasi ein Vorläufer der Europäischen Gemeinschaft. Viel und gut gegessen wurde auf diesem Kongress, Tischgespräche fördern bekanntlich friedliche Verhandlungen. Der
französische Außenminister Talleyrand trug maßgeblich mit seinen Einladungen zum Gelingen des Kongresses bei. Dieses Dessert ist ihm gewidmet. Food for Peace anno 1815. Und, versprochen: extrem
lecker! Hier mein Rezept:
Friedlich vereint: Butter, Hefe, Zucker, Mehl ...
Zutaten
Für den Vorteig ("Dampfl"):
100 ml Milch
10 g frische Hefe
1 TL Zucker
100 g Weizenmehl (Type 450 oder 550)
Für den Teig:
250 g Weizenmehl (Type 450 oder 550)
10 g frische Hefe
Prise Salz
100 ml lauwarmes Wasser
75 g Butter
1 Bio-Zitrone
4 Eier
20 g brauner Zucker
Butter für die Backform
Zum Tränken und Marinieren
von Ananas und Kuchen:
1 Ananas
1/2 l Wasser
200 g Zucker
3 + 3 EL Kirschwasser
Zum Glasieren des Talleyrand:
100 g Bitterorangenmarmelade (Fine Cut)
Zum Backen:
1 kranzförmige Backform oder Savarinform
Läuft! (Der Vorteig in Aktion)
Zubereitung
Am Vorabend bereite ich den Vorteig (das sogenannte Dampfl) zu. Dafür gebe ich die Milch mit dem Zucker in einen Topf, erwärme
sie bei sehr milder Hitze, mache die Lippenprobe (siehe meine Tipps bei: FoodTorialistic!), bröckele die
Hefe hinein und rühre so lange, bis sie sich vollständig aufgelöst hat. Wichtig ist, dass die Milch dabei immer nur lippenwarm bleibt.
Die aufgelöste Hefe gebe ich in eine kleine Schüssel, rühre das Mehl mit einem Schneebesen unter, decke die Schüssel mit einem Teller ab und stelle sie über
Nacht in den Kühlschrank.
Das Geheimnis: wenig Hefe, lange Gärzeit
Weizenmehl war zu Talleyrands Zeit das Feinste vom Feinen
Am nächsten Tag, circa 5 Stunden vor Servieren des Talleyrand, bereite ich den Hauptteig zu.
Dafür hole ich das Dampfl aus dem Kühlschrank und lasse es eine Viertelstunde Zimmertemperatur annehmen. Anschließend kommt es in eine Rührschüssel, ich füge
das restliche Mehl, nochmal etwas Hefe und eine gute Prise Salz dazu, knete alles mit dem Handrührgerät oder in einer Küchenmaschine auf höchster Stufe und prüfe nach ein, zwei Minuten, wie
sich der Teig anfühlt: Er sollte nicht zu fest sein, sondern weich und geschmeidig. Ist er zu kompakt (was von zig Faktoren abhängt: Frische der Hefe, des Mehls, aber auch Luftfeuchtigkeit
und Außentemperatur), gebe ich nach und nach etwas von dem lauwarmen Wasser zum Teig, so viel, bis der Teig schön elastisch ist und sich gut bearbeiten lässt. Und so knete ich ihn dann gute
zehn Minuten lang auf höchster Stufe, bis er Blasen wirft und sich wie von selbst vom Schüsselrand löst.
Dann ist er bereit, erneut zu gehen: Ich lege ein feuchtes Tuch darüber, stelle ihn an einen luftgeschützten Ort (also nicht ans offene Fenster) und lasse ihn
mindestens auf das Doppelte aufgehen. Das kann bis zu einer Stunde dauern.
Braver Teig: Er geht langsam, aber sicher auf
Während der Teig geht, wasche ich die Bio-Zitrone heiß ab und tupfe sie trocken.
Sobald der Teig mindestens auf das Doppelte aufgegangen ist, gebe ich die Eier, den Zucker, die zimmerwarme Butter dazu, reibe die Hälfte der Zitronenschale
hinein und rühre den Teig anschließend erneut auf höchster Stufe gute zehn Minuten lang. Mit der Küchenmaschine klappt das problemlos, beim Rührgerät kann es schon sein, dass es ein bisserl
heißläuft, aber keine Panik: das Ding packt das schon!
Von nix kommt nix! Butter, Eier - lecker!
Der Hefeteig ist am Ende extrem weich und luftig. Ich dachte: der fühlt sich ja beim Rühren wie ein normaler Rührteig an,
nicht wie die Hefeteige, die wir heute so kennen. Genau! Hier sind wir bei einer historischen Besonderheit: Backpulver gab es zu Talleyrands Zeiten nicht, Kuchen und kuchenartige Desserts wurden
mit (Bier-)Hefe locker gemacht; was wir heute als Rührteig bezeichnen, war dazumal meist ein mit Hefe angereicherter Teig. Also: Alles richtig gemacht, und nicht wundern über die Konsistenz! Nach
dem Foto gehts weiter mit dem Rezept:
Rührteig anno 1815 (bitte den Mixer wegdenken :-))
Sobald der Teig Blasen wirft und sich erneut leicht vom Schüsselrand löst, kann er ein drittes Mal aufgehen.
Ich buttere die Kranzform aus, fülle den Teig hinein, lege ein feuchtes Tuch darüber und lasse ihn ein weiteres Mal ruhen - so lange, bis er bis zum Rand der
Teigform hochgegangen ist.
Nun heize ich den Backofen auf 180 °C vor.
Nach fünf Minuten stelle ich die Form auf mittlerer Schiene in den Ofen und backe den Teig etwa 30 Minuten.
Jetzt bekommt die Ananas ihren Auftritt!
Während der Kuchen backt, bereite ich den Zuckersirup und die Ananas vor:
Dafür koche ich den Zucker mit Wasser in einem hohen Topf bei sehr starker Hitze so lange, bis er leicht sirupartig wird, das dauert etwa eine halbe bis
dreiviertel Stunde. Immer mal wieder umrühren nicht vergessen - am besten mit einem Holzlöffel mit langem Stiel, denn der Sirup ist sehr heiß: Verbrennungsgefahr! (siehe auch mein Tipps
unter: Foodtorialistic!)
1502 pflanzten die Portugiesen
die erste Ananas auf St. Helena
Während der Sirup köchelt, schäle ich die Ananas, schneide sie in kleine Stücke und gebe sie in eine Schüssel.
Sobald der Sirup abgekühlt ist, messe ich 150 ml davon ab und gieße ihn über die Ananasstückchen. Dann kommen noch 3 EL Kirschgeist dazu, einmal umrühren und
durchziehen lassen, bis das Kuchendessert später mit den Fruchtstücken dekoriert wird.
Nach Ende der Backzeit lasse ich den Kuchen gute zehn Minuten abkühlen. Dann nehme ich ihn aus der Form, lege ihn auf eine Kuchenplatte und messe vom Sirup
nochmals 100 ml ab, rühre die restlichen 3 EL Kirschgeist unter und tränke den Kuchen mit Hilfe eines Esslöffels mit dem feinen Stöffchen.
Anschließend dekoriere ich den Talleyrand mit einem Kranz marinierter Ananasstückchen.
Die Orangenmarmelade kommt jetzt in einen kleinen Topf, wird unter Rühren erhitzt, bis sie flüssig ist und dann träufele ich sie mit einem Teelöffel vorsichtig
auf die Ananasstücke und die Oberfläche des Kuchens. Fertig!
Puderzucker als Deko war damals nicht üblich. Aber Blumen in der Mitte! Der letzte Schrei damals. Also kam die Wachsrose zu Ehren, die ich einmal von einer
Freundin geschenkt bekam. Wirkt, als hätte sie genau auf diesen Moment gewartet!
Fehlt nur noch ein bisschen Sahne!
1815aß man zu solch herrlichen Schweinereien (pardon) noch keine Schlagsahne. Die kam erst später in Mode (die Geschichte
dazu erzähle ich mal an anderer Stelle). Aber ehrlich: Erbsenzählerei ist The FoodTorian fremd. Also immer fest druff mit dem Schlagobers! Ach ja, und noch etwas: Im Original verwendete man keine
Orangen-, sondern Aprikosenmarmelade. Die Kombination: Aprikose, Ananas, Kirschgeist war damals so etwas wie das kulinarische Nonplusultra (ich werde mich der Besonderheit mal an die Fersen
heften und versuchen, herauszufinden, was es damit auf sich hat). Aber ich hatte beim Zubereiten des Talleyrand keine Aprikosenmarmelade zur Hand (es ist nicht die Saison dafür), gekaufte wollte
ich nicht verwenden, die schmecken alle kaum nach was, also kam ich auf die Idee mit der Orangenmarmelade (die machen wir selbst und deshalb ist immer was davon vorrätig). Überdies ist es
historisch sinnvoll und deshalb gut vertretbar, denn Orangen wurden wie die ersten Ananaspflanzen auch zur damaligen Zeit in den Orangerien der Fürsten- und Königshäuser kultiviert - und genossen
somit den gleichen auratischen Seltenheitsstatus.