Laurits Tuxen (1853-1927):
Alexander III. with wife Maria Fjodorovna
and son Michael
Erdbeeren Romanow geben Rätsel auf. Auf welchen Romanow gehen sie zurück? Welche Zutat, welche Besonderheit macht sie so ausgesprochen Romanow-haft? Vielfach wird kolportiert, es handele sich dabei um ein Lieblingsdessert von Zar Alexander I. Der lebte jedoch zu früh, um das umwerfende Aroma jener besonderen Zutat genießen zu können, die Erdbeeren Romanow klassischerweise ausmacht: Triple Sec.
Um dem Originalrezept auf die Spur zu kommen, konsultierte ich zunächst mal den Larousse Gastronomique. Darin steht, Erdbeeren Romanow würden traditionellerweise mit Curacao mariniert. Damit ist aber nicht das in Verruf geratene blaue Wunder aus den 1980er Jahren gemeint, sondern der Curacao Triple Sec - ein Likör aus karibischen Pomeranzen (Bitterorangen).
Die französische Gourmandise entdeckte im 19. Jahrhundert ihre Vorliebe für den intensiv herbsüßen Geschmack dieser Orangensorte (citrus aurantium currassuviensis). Und so waren es französische Likörhersteller, die begannen, ihr Sonnenaroma, gemixt mit anderen Orangensorten, in zuvor nicht gekannten Wässerchen mit dem gewissen Etwas einzufangen: 1834 kam der erste Triple Sec auf den Markt, 1875 Cointreau, 1880 Grand Marnier.
Zar Alexander III., ein Nachfahre Alexanders I., hatte ein Faible für Frankreich und die französische Küche. Aber auch für eher einfache, bodenständige Gerichte. Dieser Vorliebe kommt das Dessert mit dem Beinamen Romanow entgegen:
(Wald-)Erdbeeren, Sahne, Vanille, französischer Orangenlikör. Vier Zutaten - mehr nicht.
Alexander III. verstarb im Jahr 1894. Zwei Jahre später, 1896, nahm die Destillerie der Familie Senior auf der Insel Curacao die Produktion des Curacao of Curacao auf - Basis dieses Likörs sind die getrockneten Schalen von Bitterorangen, die nur auf der Insel Curacao wachsen und von den Einheimischen Lahara-Pomeranzen genannt werden. Es ist anzunehmen, dass Erdbeeren Romanow erstmals für Zar Alexander III. kreiert und zeit seines Lebens mit französischem Triple Sec oben genannter Marken mariniert wurden. Die Vermutung liegt nahe, dass dieses umwerfend bitterorangige Dessert am Zarenhof so nachhaltig Anklang fand, dass es nach Alexanders Tod auch unter Nikolaus II. weiter zubereitet wurde - dann allerdings mit dem ab 1896 zur Verfügung stehenden Curacao of Curacao-Likör.
Die Kolportage, dieses Dessert sei für den deutlich früher lebenden Zar Alexander I. kreiert worden, teile ich also nicht. Zu dessen Lebzeiten (er starb 1825) waren Liköre aus getrockneten Schalen von Bitterorangen nicht so en vogue - und wurden auch nicht in der Breite hergestellt und vertrieben. Ihre Blütezeit begann in Frankreich erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und reichte über die Belle Epoque bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs.
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