Das Ding aus einer anderen Zeit:      »Damenpulver«

Damen Dynamit?

Damenpulver! Der Name knallt rein. Damit hatte mich das Ding sofort am Haken. Erst hatte ich die Fassade entdeckt: Kur-Apotheke Bad Ischl, wunderschöne historische Werbetafeln links und rechts – Cognac gab es hier mal wohl auf Rezept – dann hatten mich die Schaufenstervitrinen angezogen mit ihrer gerahmten Eleganz und all den Dingen, die darinnen lagen: »K.u.K. Myrrhen-Balsam«, »Reduktions Fluid gegen Fettleibigkeit«, »Echtes Australisches Eucalyptus Oel«, »Verzuckerte Blutreinigungs Pillen« und: das »Damenpulver«, dezent vergilbt. Kunstfertig gefaltetes Papiermaché, feinster Karton und Prägedruck – für alte Schachteln hatte ich immer eine besondere Schwäche.

Gute Laune-Kur: Ein Esslöffelchen Cognac, morgens auf nüchternen Magen ...

Nun also dieses Pulver mit der flotten Ansage. Was mochte das wohl gewesen sein? Ein Treatment für tolle Tanten? Die Kur-Apotheke stellte in der Kaiserzeit nicht nur Arzneimittel, sondern auch allerlei Aufbauendes für die innere und äußere Schönheit nach eigenen Rezepturen her; Jungbrunnen-Tonikum, Elixiere, Weihrauchmischungen, auch exotische Gewürze hielt sie vorrätig. Doch ein Pulver ausschließlich für Damen?

In allen Fällen bestens bewährt!

Eine Gewürzmischung womöglich? Ein Booster fürs Boudoir; als Medizin getarntes Stimulans für den Nachmittagskakao? Oder einfach nur Riechsalz? „Aber nein, ganz bestimmt nicht“, meint Frau Magister Ulli Hrovat, die ich in der Apotheke nach dem gewissen Etwas befrage: „Gewürzmischung? Glaube ich nicht. Aber was in dem Schächtelchen wirklich drin war? Nix Gewisses weiß man nicht.“ Mit ihrem Mann Heimo sen. hatte Frau Hrovat die Kur-Apotheke bis zum Jahr 2011 geführt; heute leitet Heimo jun. mit seiner Frau Betty die Ischler Institution in vierter Generation.

Bella Figura

Die Geschichte der Kur-Apotheke reicht indessen noch weiter zurück – bis ins Jahr 1807, als die Wiener Hofkammer in dem Städtchen an der Ischl eine Filialapotheke einrichten ließ, damit die Kaiserliche Familie während ihrer Sommerfrische die Arzneimittel und Rezepturen fürs Wohlbefinden in gleicher Qualität parat hatte wie in Schönbrunn und der Hofburg. Zum k.u.k. Hoflieferanten ernannte Kaiser Franz Joseph die Kur-Apotheke im Jahre 1890. Fünf Jahre zuvor verzeichnete Bad Ischl schon 20.000 Sommerfrische-Gäste, die Kaiserliche Familie nicht mitgezählt. Zwischen all den Anwendungen, Trinkkuren und Spaziergängen hielten die sommerfrischenden Damen und Herren damals ausgiebig Einkehr in den Kaffeehäusern, Konditoreien, Gastgärten und Musikpavillons des mondänen Kurorts. Sehen und gesehen werden, bella figura im Medizinal-Badeort – Frau Hrovat hat mit ihrem Mann ein kleines, feines Raritätenkabinett aus dieser Epoche zusammengestellt, ein charmantes Museum im Souterrain der Apotheke.

Rätseln, raten, schnuppern

Dort stehen wir beide dann auch ein wenig später, schwelgen in der edel verblassten Anmutung der Schächtelchen, Etuis, Flakons und Döschen aus Papier, fahren mit dem Finger andächtig über die feingefertigten Schriftzüge im Reliefdruck und rätseln, was es mit dem Pulver wohl auf sich haben könnte.

»gewesener KaiserlicherRat u. Hoflieferant …«

»Mehr so Wegwerf«

Das ist auf jeden Fall noch vom Velissky“, meint Frau Magister Hrovat nach längerem Sinnieren. Der Kaiserliche Rat Albert Velissky hatte die Apotheke seit 1885 geführt. Im Besitz der Familie Hrovat ist sie seit 1940. Aus Velisskys Ära befinden sich noch ein paar Kleinode in der Kur-Apotheken-Sammlung, unversehrt gebliebene Döschen, Tiegel und Schächtelchen feinster Machart. Raritäten, die Ulli Hrovat hegt und pflegt wie einen Schatz, weil sie Nostalgikerin sei, wie sie verrät, eine Frau, die sich begeistern kann für die sorgfältige Machart und Schönheit der Etiketten von früher. „Damals war alles so wertig gefertigt,“ resümiert sie, „heut‘ dagegen ist alles mehr so Wegwerf.“ Sie lacht: „Ich glaub‘, ich bin im falschen Jahrhundert auf die Welt gekommen!“ Mit diesem Geständnis hat auch sie mich am Haken – das Faible teilen wir.

Das Aroma des Besonderen

Sie führt mich in ihr Büro, da schlummern noch weitere Exemplare Damenpulver-Schächtelchen in Schubladen und Regalen, mit Umsicht gehütet, nahezu unberührt, wie im Dornröschenschlaf. Reingeguckt hat lange niemand mehr in diePackungen. Ob da vielleicht noch etwas drin ist? Vorsichtig öffnen wir Schächtelchen um Schächtelchen, lüpfen die Deckel, hoffen, noch Reste des Pulvers vorzufinden, schnuppern hinein, aber: nichts. Alle Schachteln leer. Das feine Aroma des Besonderen – perdu.

Da fällt mein Blick auf das Rosenmuster …

Die Rose in der Poesie und Kunst. Hamburg 1882

… und es fällt mir mein Rosenbüchlein ein, Relikt aus der Familie meines Mannes. 1882. Gold- und Silberprägedruck. Gleiche Anmutung. Fast identisches Motiv. Das erste Kapitel darin: „Aus dem Orient: Die Erschaffung der Rose“.

Der Komponist Franz Léhar in Damenbegleitung im Kurpark Bad Ischl, 1921. Detailansicht aus Christian Rapp/Nadia Rapp-Wimberger: Bad Ischl. Brandstätter Verlag, Wien 2016, S. 142

Das ist es! Getrocknete Damaszener-Rosen aus dem Orient, hauchfein pulverisiert, als Basis für einen wohlriechenden Damen-Puder. Ein Schönheits-Booster für den Bummel durch Ischl. Aus der Zeit vor den Weltkriegen. Der Epoche dazwischen.

Für die Dame von Welt. Aus der Welt von gestern.

„… immer mehr verdunstet das feine Aroma des Besonderen in den Kulturen …“

(Stefan Zweig)


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